Danke für diese große Ehre vom Bezirk Unterfranken.
Ich bin immer noch gerührt von der berührenden Laudatio von Jochen Wobser
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Die Laudatio von Jochen Wobser
Laudatio auf Silvia Kirchhof
zur Verleihung des Kulturpreises des Bezirks Unterfranken
am 19. Juli 2022
von Jochen Wobser
Liebe Kulturbegeisterte, sehr verehrte Silvia Kirchhof!
Beginnen wir diese Laudatio mit einer Zeitreise. Wir bleiben hier in Gerolzhofen, aber wir gehen zu-rück ins Jahr… sagen wir 1980, in ein Kinderzimmer. In das Zimmer von Silvia Kirchhof. Silvia ist elf Jahre jung, die Schule ist vorbei für heute und ich gehe mal davon aus, die Hausaufgaben sind ge-macht. Jetzt ist Silvia am Schallplattenspieler, wie so oft, und legt ihre Lieblingsplatte auf. Der Teller beginnt sich zu drehen, der Tonabnehmer senkt sich auf die Rillen, es knistert kurz – und dann füllt sich der Raum mit der dunklen vibrierenden Stimme von Zarah Leander, der „Stimme der Sehn-sucht“. Ihre Lieder nehmen das Mädchen aus Gerolzhofen an die Hand und nehmen es mit in eine andere Welt. Und das Mädchen liebt diese Welt. Es kennt diese Lieder in- und auswendig, aus der Dauerschleife, in der die Zarah Leander-Platte zuhause läuft. Und Silvia singt mit. Aber es ist kein mädchenhaftes Kieksen, das da aus der Heranwachsenden kommt. Es ist eine erstaunlich tiefe Ton-lage. Schon ein paar Jahre zuvor, in der Grundschule, hatte diese Tonlage das Publikum verblüfft, bei den Aufführungen vor Lehrern und Eltern, als es Silvia wieder mal gelungen war, sich vor der Hinter-grund-Rolle an den Klangstäben zu drücken und stattdessen eine der großen Rollen vorne an der Bühnenrampe zu ergattern.
Gut vier Jahrzehnte später sind wir hier beisammen, um Silvia Kirchhof als herausragende Künstlerin zu ehren. Wir sind hier in Gerolzhofen, wo mit Zarah Leander-Liedern im Kinderzimmer eine Reise in die Welt der Musik und Darstellenden Künste begonnen hat, auf der sich Silvia Kirchhof seitdem be-findet – zu unserem Glück – und die sehnsuchtsvollen Lieder von Zarah Leander sind zu Lebensbeglei-tern auf dieser Reise geworden, ebenso wie zum Beispiel die Lieder Marlene Dietrichs oder Georg Kreislers, der gestern einhundert Jahre alt geworden wäre.
Die von mir eingangs beschriebenen Initiations-Momente der jugendlichen Silvia Kirchhof am heimi-schen Plattenspieler, die habe ich mir nicht ausgedacht, sondern Du, Silvia hast selbst davon erzählt. Das war im vergangenen Oktober. Da warst Du für zwei Stunden meine Gesprächspartnerin im Radio, in einer Live-Sendung des Bayerischen Rundfunks. Wegen der Corona-Pandemie und der damit ver-bundenen Sicherheitsmaßnahmen konnten wir uns bei diesem Gespräch nicht im BR-Studio gegen-über sitzen, sondern mussten auf eine Internetverbindung ausweichen. Du in Gerolzhofen, ich in Würzburg. Aber es ist Dir von der ersten Sendeminute an gelungen, die räumliche Distanz zu über-winden und dieses Gespräch zu einem persönlichen Austausch werden zu lassen – dank Deiner erfrischenden Offenheit und dank Deiner Fähigkeit, Nähe zwischen Menschen entstehen zu lassen und zuzulassen.
In diesen zwei Radiostunden hat Silvia Kirchhof denn auch von ihren Anfängen erzählt: von der künst-lerischen Wiege, in die sie als Kind gelegt wurde, geprägt zum Beispiel von ihrem Großvater, einem Flüchtling aus dem damaligen Breslau, der sich nach dem Krieg ein neues Zuhause in Franken aufge-baut hatte. Dieser Großvater war eine Künstlernatur, er war akademischer Maler und ein privater Unterhaltungskünstler für die Kinder, hat ihnen Couplets vorgetragen, Chansons vorgesungen und Sketche vorgespielt. Auf diese Weise hat der Opa gleichsam auf der familiären Bühne vorgelebt, was in der Folge dann den Kern der künstlerischen Arbeit von Silvia Kirchhof ausmachen sollte: das wun-dersame Wechselspiel zwischen der Aufführung des Darstellenden und dem Lauschen und Schauen von uns, dem Publikum. Und die Reaktionen: das Lachen und Weinen, die Gefühle und Gedanken, die Dankbarkeit, der Applaus.
Auch von ihrem Vater hat Silvia Kirchhof bei unserem Radiogespräch erzählt. Auch er war künstle-risch talentiert, war ein Theaterfreund und stand als Student selbst auf der Bühne. Aber als Sohn ei-nes Malers hatte er zugleich die Unsicherheiten erlebt, die ein Künstlerleben mit sich bringt; hatte erlebt, wie es ist, „wenn der Hunger auf der Fensterbank sitzt“. Und so erzog der Vater, bei allem Sinn für Kultur, die früh zum künstlerischen Ausdruck neigende Tochter Silvia streng protestantisch, darauf ausgerichtet, sich selbst zurückzunehmen und nicht in den Vordergrund zu spielen. Entspre-chend verhalten dürfte seine Begeisterung gewesen sein, als ihm Silvia mit elf Jahren den Entschluss mitteilte: Sie will Schauspielerin werden.
Nun ist das mit Berufswünschen von Kindern so eine Sache. Oft sind sie nur von kurzer Dauer, sind flüchtig. Und wenn sich dieser kindliche Berufswunsch dann ausgerechnet auf die flüchtige Kunst-form der Schauspielerei bezieht, die sich auf der Theaterbühne ja nur im Moment der Aufführung er-eignet, um gleich darauf vorbei zu sein, dann müsste man doch eigentlich meinen: Etwas Vergängli-cheres als den Entschluss eines Kindes, Schauspielerin zu werden, kann es doch gar nicht geben. Den Gegenbeweis verkörperst Du, Silvia – und das auf mehrfache Weise. Denn Dein Lebensweg zeigt zum einen, dass es eine unverbrüchliche, Widerständen trotzende Verbindungslinie geben kann zwischen dem Herzensdrang eines Kindes, das offenbar für die Bühne geboren ist und einem Publikum, das sich von den Darbietungen im Herzen anrühren lässt. Und Dein Weg zeigt außerdem, dass das Mo-ment des Flüchtigen und Vergänglichen, das der Bühnenkunst innewohnt, nicht notwendigerweise damit einhergeht, dass diese Kunst ohne bleibende Bedeutung ist. Denn Silvia Kirchhof hat Langzeit-wirkung. Wenn das letzte Lied einer ihrer Chanson-Abende gesungen ist oder die letzte Szene eines Theaterprojekts gespielt und das Scheinwerferlicht erlischt, dann endet damit nicht die innere Bewe-gung, in die einen die Begegnung mit Silvia Kirchhof versetzt hat. Sondern da bleibt etwas: Da bleibt ein Raum für Gedanken, eine Anlaufstelle für Emotionen – ein „Hafen für Gefühle“, wenn man so will – und obendrein bleibt die Gewissheit, dass man mit seiner Sehnsucht nicht alleine ist.
„Kunst kommt vom Künden, vom mitteilen“, sagt Silvia Kirchhof gerne. Um ihre Lust am künstleri-schen Kundtun zu leben, erschließt und erforscht sie vielfältige Felder. Ihr Publikum findet sie überall, ohne jede Berührungsangst. Als Teil des Chanson-Duos „Café Sehnsucht“ bespielt sie gemeinsam mit ihrem Lebens- und Bühnenpartner Achim Hofmann – dem kongenialen Akkordarbeiter am Klavier – Festsäle mit Gala-Gästen im feinen Zwirn. Sie singt auf Kabarettbühnen, in Kirchen und Gemeinde-häusern. Sie tritt in Seniorenheimen auf und entwickelt Programme für Menschen mit Demenz – und immer ist ihr Anspruch an sich selbst gleich hoch und nicht verhandelbar: Genau in diesem Moment soll genau dieses Lied so voller Intensität dargebracht werden, als gäbe es nur diesen einen Moment. Und immer ist der Kontrollmechanismus des Gelingens: die eigene Gänsehaut beim Singen. „Dann geht‘s in den ganzen Raum“, dann erreichen die Emotionen auch die letzte Reihe der Zuhörerschaft. In diesen Momenten kann Silvia Kirchhof vieles sein: laszive Diva, kesse Göre oder eine vom Leben gezeichnete Melancholikerin – und bei Bedarf auch mal ein Mann. Zwischen acht, neun Charakteren changiert sie im Verlauf eines Programms. Und sie verkörpert, sie lebt ihre Figuren mit jedem Aus-druck des Gesichts, mit jeder Geste und mit jedem Ton. Zugleich bleibt sie, als nur scheinbarer Wi-derspruch und als Kennzeichen einer großen Künstlerin, immer unverwechselbar sie selbst.
Aber Silvia Kirchhof kann auch zweite Reihe. Ich finde, es ist eine bemerkenswerte Entwicklung, dass sie, als „staatlich geprüfte Exhibitionistin“ (das ist wohlgemerkt eine Selbstbezeichnung von Silvia!) ebenso Erfüllung darin findet, sich als Bühnenpersönlichkeit von Zeit zu Zeit zurückzuziehen, hinter den Kulissen zu wirken und anderen die Gelegenheit zu ermöglichen, im Rampenlicht zu glänzen. Was Silvia Kirchhof als Theatermacherin, Regisseurin und Kulturveranstalterin seit dem Jahr 2010 mit dem „Kleinen Stadttheater Gerolzhofen“ auf die Beine stellt und auf die Bühne bringt, das ist – ge-rade weil es ein „Kleines Stadttheater“ ist – nicht klein, sondern großartig. Die skeptischen Stimmen von außen, die gab es, gerade am Anfang. Und die hatte Silvia auch sehr wohl vernommen und auf ihren Gehalt überprüft. Aber sie ließ sich eben nicht entmutigen und schon gar nicht abhalten von dem Vorhaben, nun auch anderen das zu vermitteln, was sie selbst von anderen erfahren und lernen durfte. Und so versammelte sie, der Bühnen-Profi, eine Gruppe aus Schauspiel-Laien um sich und brachte diese mit Bravour zur Bühnenreife. Und auch hier gab und gibt es Aspekte, die sind nicht ver-handelbar. Ein zentraler Aspekt ist: Die Rahmenbedingungen für das Laien-Ensemble müssen absolut professionell sein. Bühne und Technik, Kostüm und Maske, Stück und Inszenierung auf höchstem Ni-veau – das sind die Eckpfeiler, zwischen denen sich ein Raum aufspannt, in dem vieles möglich ist: Hofmannsthals „Welttheater“ oder Klassiker wie „Nathan der Weise“, Gerolzhöfer Stadtgeschichte als großangelegtes Recherche- und Theaterprojekt beim „Aufstand der Frauen“ vor sieben Jahren, launige Kriminalkomödien oder skurrile Märchenwelten über die „Suche nach dem Glück“, als Wan-deltheater in Gerolzhöfer Gärten.
Zu Silvia Kirchhofs persönlicher Suche nach dem Glück gehört es auch, ihrem Wandel- und Wander-theater eine feste Bleibe zu geben. Und mit welchem Enthusiasmus, mit welcher Beharrlichkeit und auch Stilsicherheit sie gemeinsam mit ihrem Mann an der Verwirklichung dieses Traums arbeitet, das erleben wir ja ganz direkt, wenn wir uns hier in den Räumen umschauen und bewegen, in den Räu-men des neu geschaffenen „Kleinen Stadttheaters“, wo früher die Leute hingekommen sind, um „beim Steigner“ einen Kinderwagen zu kaufen. Jetzt ist dieses ehemalige Geschäft für Babyausstat-tung selbst ein Baby, nämlich das Baby von Silvia Kirchhof. Und als vierfache Mutter weißt Du, Silvia, denke ich, sehr gut, was zu tun ist, damit Neuankömmlinge in der Welt auch wirklich ankommen, da-mit sie in ihr bestehen können und einen Ort finden, wo sie sich wohl fühlen und zum Wohl anderer wirken können. Der Ort dieses Babys hier, das ist Silvia wichtig, soll mitten im Leben sein. „Kultur ge-hört ins Zentrum – und nicht an den Rand“, hat sie mir gesagt. Auch wenn das vielleicht nicht jedem Menschen gefällt. Weil Kultur eben nicht Stille und Starre bedeutet, kein „alles soll bleiben, wie es ist“, sondern Austausch und Lebendigkeit bedeutet. Und so ist der Weg zum eigenen Ort in der Welt auch hier mit Umwegen und Hürden verbunden. Und manchmal dauert‘s dann eben länger als neun Monate, bis so ein Baby in der Welt ankommen kann, sei es wegen bürokratischer Herausforderun-gen oder wegen den Folgen einer Pandemie.
Die Corona-Pandemie hat Silvia Kirchhof, wie jeden Menschen, der von der Kunst und für die Kunst lebt, getroffen und erschüttert, manchmal bis an die Grundpfeiler der eigenen Existenz. Der sorgsam geplante Auftrittskalender: plötzlich leergefegt. Ein mit viel Liebe vorbereitetes Theaterprojekt: abge-sagt. Dazu die finanzielle Unsicherheit – und vor allem: kein Austausch mehr, keine Begegnungen mit ihrem Publikum. Aber auch hier: Silvia findet Wege und sie findet die Menschen. Als Aktivistin der so wichtigen Klinik-Clown-Initiative „Lachtränen Würzburg“ zum Beispiel, hat sie mit ihren Clown-Kolle-ginnen und -Kollegen während der Pandemie auf den Balkonen der Kinderkrebsstation gespielt, vor den Fenstern der Kinder, als Draußen-Alternative zu den Auftritten im Klinikzimmer, zwei Mal die Woche, ob bei minus 10 oder bei plus 38 Grad wie heute. Und so hat Silvia wieder mal gezeigt, dass alleine schon der Name ihres Clowncharakters ein Augenzwinkern ist.
Denn eine „Machnix“, liebe Silvia, bist Du wirklich nicht. Dann doch eher eine „Turbina“, wie aus Krei-sen der Klinik-Clowns bereits vorgeschlagen wurde. Das jedenfalls würde passen zum nimmermüden Antrieb, mit dem Du auch während Pandemie und Lockdown weitergearbeitet und Dein Lebens-motto mit Leben erfüllt hast: „Es gibt immer einen Ausweg, es geht immer weiter.“ Oder wie Du es in unserem Radiogespräch formuliert hast: „Lass dich nicht entmutigen, mach was aus Deinen Talenten. Mach Dich selbst glücklich und streu wieder Glück in die Welt.“
Und so ist es: Silvia Kirchhof streut Glück in die Welt, mal verschwenderisch, mal wohl dosiert. Und manchmal streut sie auch, um es mit den Schriftsteller Günter Eich zu sagen, „Sand ins Getriebe die-ser Welt“, damit es mal knirscht und Reibung entsteht. Aber eines ist Silvia Kirchhof dabei immer: Sie ist eine „Unterhaltungskünstlerin“ und das ist ein Begriff, der ihr selbst sehr gut gefällt. Denn in der „Unterhaltungskünstlerin“ steckt viel von dem drin, was Silvia wichtig ist und was sie ausmacht: Pro-fessionalität und Handwerk zum Beispiel – und: die Hinwendung zum Publikum und dessen Bedürf-nissen; zu dem, was uns Menschen gut tut.
Ihr Publikum findet Silvia Kirchhof mit diesem Sommer auch auf der Freilichtbühne Sömmersdorf, das ist die bisher größte Bühne ihrer Arbeit als Regisseurin. Fast 2.000 Menschen werden dann pro Auf-führung auf den Rängen sitzen. Jetzt am Samstag feiert ihre Regie von „Robin Hood“ Premiere. Und ich finde, das Stück könnte nicht besser passen. Denn wie hat mein Sohn Leonard vor kurzem in ei-nem Schulaufsatz geschrieben, nachdem seine zweite Klasse das Stück „Robin Hood“ bei den Kinder-festspielen Giebelstadt gesehen hat: „Robin Hood ist ein wahrer Held“. Eine solche Heldin ist auch Silvia Kirchhof. Sie kämpft unerschrocken und mit Esprit gegen Widerstände an, sie lässt sich nicht entmutigen. Und wie Robin Hood lebt Silvia Kirchhof, um zu geben: Sie gibt uns Momente, in denen wir träumen, lachen und weinen können. Sie gibt uns Momente, in denen wir – so wie das elfjährige Mädchen 1980 in einem Gerolzhöfer Kinderzimmer – an die Hand genommen und in andere Welten geführt werden. Aber das Beste ist ja: Anders als Robin Hood nimmt Silvia Kirchhof niemandem was weg, um zu geben. Sondern sie schöpft und schafft aus sich selbst heraus, voller Respekt für ihre In-spirationsquellen, und dann verteilt sie ihre Gaben an alle, die sich dafür öffnen, ohne Ansehen von Stand und Person. Und das macht Dich, Silvia, erst recht zu einer wahren Heldin.
Herzlichen Glückwunsch zum Kulturpreis des Bezirks Unterfranken, Silvia Kirchhof!